„Formgesetze“

Formgesetzmäßigkeit versus Erfüllungsgesetz

Formgesetzmäßigkeit versus Erfüllungsgesetz – Letzteres ist ein moralisches Gebot mit Aufforderungscharakter bis hin zum potentiellen Befehl. Erstere ist ein quasi naturwissenschaftlicher Wirkenszusammenhang, der einen wissen und erkennen lässt, zur Prüfung anregt, jedoch im Willen völlig frei lässt.

Interessant ist es, historische Werke und ihre Rezeption je daraufhin zu betrachten:

  • Wie sehr sind die zehn Gebote moralisches Gesetz, wie sehr Zukunftsvision? – Unterscheidet doch die Sprache, in der sie verfasst wurden, nicht zwischen Imperativ und Futur! Wer verstand sie wann und wie?
  • Wie sehr enthält die Bergpredigt moralische Anweisungen, wie sehr wurde sie so (miss-)verstanden?
  • Wie verhält es sich mit den Aussagen von Geistesgrößen und spirituellen Lehrern, wie z.B. auch mit denen Rudolf Steiners? Wie sehr führt das Bedürfnis nach Lebensregeln dazu, Wissen-schaffende Erkenntnisse als Gebote zu interpretieren?

Vorbildlich hat Christoff Lindenau das soziale Hauptgesetz Rudolf Steiners in verschiedensten Variationen umformuliert so, dass der Wissen-schaffende Charakter deutlich wird:

Das soziale Hauptgesetz als Formgesetzmäßigkeit

Christoff Lindenau – Soziale Dreigliederung: Der Weg zu einer lernenden Gesellschaft

Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit

„Die Befriedigung von Bedarf innerhalb einer Gesamtheit von Menschen gelingt um so lebensgemäßer, je mehr Brüderlichkeit unter den Beteiligten Menschen praktiziert wird. – Die Vereinbarungen von Rechten und Pflichten innerhalb einer Gesamtheit von Menschen erweisen sich um so tragfähiger, je mehr sie auf Gleichheit der Partner begründet sind. – Die Zusammenarbeit innerhalb einer Gesamtheit von Menschen entwickelt sich um so fruchtbarer, je mehr sie aus der Freiheit aller darin tätigen Menschen entspringt.
Für solche Gesamtheiten von Menschen gelingt dagegen die Bedürfnisbefriedigung um so schlechter, je weniger Brüderlichkeit in ihr lebt; werden Rechtsvereinbarungen ums so brüchiger, je weniger sie auf Gleichheit gebaut sind; und zeigt sich eine Zusammenarbeit um so steriler, je weniger sie in Freiheit geschieht.“

„Die Chance, innerhalb menschlicher Gesamtheiten durch die gesellschaftlichen Vorgänge der Bedarfsbefriedigung, der Vereinbarung und der Zusammenarbeit selber Vertrauen zu erwecken, ist um so größer, je mehr die beteiligten Menschen sich bei allen Vorgängen der Bedürfnisbefriedigung füreinander als Bedarfswesen interessieren; bei allen Vorgängen der Vereinbarung einander als mündige Wesen anerkennen; und in allen Vorgängen der Zusammenarbeit einander als Fähigkeitswesen wahrnehmen.
Diese Chance bleibt selbstverständlich um so kleiner, je weniger die Beteiligten Menschen einander als fähige Wesen wahrnehmen, einander als mündige Wesen anerkennen und als bedürfende Wesen füreinander interessieren.“

„Die soziale Lebensfähigkeit gesellschaftlicher Gesamtheiten wächst, je mehr die beteiligten Menschen bei allen Vorgängen der Bedarfsbefriedigung sich füreinander als bedürfende Wesen interessieren und gegenseitig für den anderen sorgen; bei allen Vorgängen der Vereinbarung einander als mündige Wesen anerkennen und sich als solche fördern; und bei allen Vorgängen der Zusammenarbeit einander als fähige Wesen wahrnehmen und gegenseitig ihrer Entfaltung Raum geben.
Und wie die soziale Lebensfähigkeit wächst, je mehr dieses wahrnehmende und tätige Interesse am Bedarfs-, Mündigkeits- und Fähigkeitswesen des anderen Menschen vorhanden ist, so schwindet diese Lebensfähigkeit, je weniger ein solches Interesse gepflegt wird.“

„Unter Brüderlichkeit soll ein Streben verstanden werden, dass aus dem echten Interesse am anderen Menschen als einem bedürfenden Wesen hervorgeht; unter Gleichheit ein Streben, dass aus dem lebendigen Interesse am anderen Menschen als mündigem Wesen folgt; unter Freiheit (des anderen) aber ein Streben, dass aus dem warmen Interesse am fähigen Wesen des andern Menschen entspringt.“

„Je mehr eine gesellschaftlich Gesamtheit im Sinne von Brüderlichkeit, Gleichheit und Freiheit aus dem Interesse am anderen Menschen gestaltet wird, um so mehr entwickelt diese Gesamtheit eine dreigliedrig-differenzierte Struktur; je mehr sie dagegen im Sinne von Fremdbestimmung, Machtausübung und Gewinnmaximierung aus dem Interesse an sich selbst verwaltet wird, um so mehr tendiert sie zu einem einförmig-zentralistischen System.“

Das soziale HauptgesetzRudolf Steiner, Oktober 1905:

Das Heil einer Gesamtheit von zusammenarbeitenden Menschen ist um so größer, je weniger der einzelne die Erträgnisse seiner Leistungen für sich beansprucht, das heißt, je mehr er von diesen Erträgnissen an seine Mitarbeiter abgibt, und je mehr er seine eigenen Bedürfnisse nicht aus seinen Leistungen, sondern aus den Leistungen der andern befriedigt werden.
Und das Heil einer solchen Gesamtheit ist um so kleiner, je mehr der einzelne die Erträgnisse seiner Leistungen für sich beansprucht, das heißt, je weniger er von diesen Erträgnissen an seine Mitarbeiter abgibt, und je mehr seine eigenen Bedürfnisse nicht aus den Leistungen der anderen, sondern aus seinen Leistungen befriedigt werden.

Das Heil einer solchen Gesamtheit ist um so größer, je weniger der einzelne die von ihm hergestellten Waren oder die von ihm erbrachten Dienstleistungen für sich selbst beansprucht; das heißt: je mehr er solche Waren und Dienstleistungen anderen zur Verfügung stellt und je mehr sein eigener Bedarf nicht aus den von ihm selbst erbrachten Waren und Dienstleistungen, sondern aus denen der anderen gedeckt wird. Dagegen ist das Heil einer solchen Gesamtheit um so kleiner, je mehr der einzelne die von ihm hergestellten Waren oder zu erbringenden Dienstleistungen für sich beansprucht; das heißt: je weniger er solche Waren und Dienstleistungen anderen zur Verfügung stellt, und je mehr sein eigener Bedarf nicht aus den von anderen erbrachten Waren und Dienstleistungen, sondern aus den eigenen gedeckt wird.
– Das Heil einer gesellschaftlichen Gesamtheit wird um so größer, je mehr der einzelne durch die von ihm hergestellten Waren bzw. die on ihm erbrachten Dienstleistungen Fremdversorger, und es wird um so kleiner, je mehr er durch sie Selbstversorger ist.“

„Das Heil einer solchen Gesamtheit ist um so größer, je weniger der einzelne die finanziellen Erträgnisse seiner Leistungen für sich beansprucht; das heißt: je mehr er von diesen finanziellen Erträgnissen an seine Mitarbeiter abgibt und je mehr seine eigenen Bedürfnisse nicht aus seinen Leistungen, sondern aus den Leistungen der anderen befriedigt werden. Dagegen wird es um so kleiner, je mehr der einzelne die finanziellen Erträgnisse seiner Leistungen für sich beansprucht; das heißt: je weniger er von diesen finanziellen Erträgnissen abgibt, und je mehr seine eigenen Bedürfnisse nicht aus den finanziellen Erträgnissen anderer, sondern aus den eigenen befriedigt werden.
– Das Heil einer gesellschaftlichen Gesamtheit wird um so größer, je mehr sich der einzelne auch in finanzieller Hinsicht als Fremdversorger verhält, und es wird um so kleiner, je mehr er in finanzieller Hinsicht Selbstversorger bleibt.“

  • Das Wirtschaftsleben einer gesellschaftlichen Gesamtheit entfaltet sich um so befriedigender, je mehr eine zu assoziativem Verhalten erweiterte Brüderlichkeit unter allen beteiligten Menschen praktiziert wird.
  • Das Rechtsleben einer gesellschaftlichen Gesamtheit erweist sich um so tragfähiger, je mehr es auf ein in demokratisches Verhalten gewandeltes Streben nach Gleichheit aller Partner gegründet wird.
  • Das Geistesleben einer gesellschaftlichen Gesamtheit entwickelt sich um so fruchtbarer, je mehr es aus einem zu korporativem Verhalten fortgebildeten Interesse an der Freiheit aller Mitarbeiter entspringt.

Und ähnlich:

„Je mehr sich gleichendie Bilder der ganzen Gemeinschaft, die ihre Glieder sich machen von ihr, umso sicherer werden der Mitglieder Taten zum Ganzen sich fügen, gegenseitig sich fördern und näherbringen die Gemeinschaft ihren Zielen.
Je weniger diese Bilder sich gleichen, umso mehr werden sich hindern die Taten der Mitglieder, verhindern die Ankunft am Ziel.“

„Je verschiedener die Initiativen, die Kräfte und Fähigkeiten, die leben in einer Gemeinschaft; je größer ihre Fähigkeit zu dertragen diese Verschiedenartigkeiten, umso lebendiger, mannigfaltiger und effektiver wird sie arbeiten.
Je weniger die Gemeinschaft erträgt die Verschiedenartigkeit der Kräfte ihrer Glieder, je gleicher die, die in ihr leben, umso öder und trockener und unfruchtbarer wird sie sein.“