Analog / Digital
Menschliche Kommunikation geschieht zuerst weder analog noch digital, sondern einfach direkt:
Direkt:
Einer spricht durch Worte, Gesten und Mimik, ein anderer nimmt das wahr. Immer handelt es sich um ein Gesamterlebnis in einer Umwelt, welche direkt dazugehört und manche Äußerung erst verständlich macht oder geradezu bedingt.
Das funktioniert nur bei gemeinsamer Anwesenheit und tauglichen Sinnen, in Abhängigkeit von Beherrschung und Reichtum einerseits der Ausdrucksmöglichkeiten, andererseits der Wahrnehmungs- und Deutungsfähigkeit. Ist also immer und prinzipiell begrenzt! Sowieso.
Indirekt:
Mit zunehmender Entfernung, sei sie einfach Abstand oder auch durch trennende Wände, wird solche Kommunikation eingeschränkt und ungenau, weniger direkt, indirekt. Immer weniger Sinne sind beteiligt, die Eindrücke schwächer und ungenauer, Zwischentöne und Feinheiten gehen unter, die Signale sind schwerer zu unterscheiden und zu deuten. Der Fehleranteil wird höher, Missverständnisse häufen sich. Drum müssen die Signale deutlicher unterscheidbar werden, Zwischentöne explizit ausgedrückt, Mimik und Gestik verstärkt und vereinfacht bzw. in Worte übersetzt werden, die auch auf größere Entfernung oder um Hindernisse herum noch verständlich sein können.
Analog übertragen:
Und dann? Kommen wir zu Funk oder Telefon, also zu einer zunächst analogen Übertragung. Hier wird ein physisches, welliges Abbild der Schallwellen übermittelt. Die technischen Vorrichtungen dafür sind aber niemals fehlerfrei, immer gibt es Frequenzbereiche, die weniger gut oder gar nicht übertragen werden. Das liegt grundsätzlich in der Natur jeder Technik, aber auch im Bestreben nach Ökonomie: warum sollten Bereiche, die der Mensch selbst für irrelevant hält, mit großem Energieaufwand genau übertragen werden? Und bei dieser analogen Übertragung wiederholt sich bei genügend großer Leitungslänge oder Entfernung das gleiche, Unschärfe entsteht, es gibt Teilausfälle, Hintergrundrauschen überdeckt die Feinheiten.
Digital übertragen:
Morsen:
Mit dem Morsen wurde ein System entwickelt, das aus einfachsten Signalen besteht, die man auch aus starkem Rauschen noch genau und eindeutig herausfiltern und also lesen kann. Zwei Längen, je an oder aus, als Signal oder Pause, sind alles, 4 Werte. Ein frühes digitales System. Genau dies macht den Begriff „digital“ aus: der bezifferbare eingeschränkte Wertebereich, welcher Fehler weitestgehend unmöglich macht, weil er auf Zwischentöne vollständig verzichtet. (Was eben nicht heißt, dass es diese nicht geben könne, sie müssen nur explizit in Worte gesetzt werden.)
Und zweimal siehe Wikipedia:
Es gibt über Zwischentöne hinaus sogar einen Ausdruck der Persönlichkeit, eine
„Handschrift:
Jeder Tastfunker hat seine individuellen Anschläge und Geschwindigkeiten, an denen er von anderen wiedererkannt werden kann – analog zur Einzigartigkeit einer Handschrift. Diese Tatsache machte sich z.B. die kaiserlich japanische Kriegsmarine zu Nutze, um die US-amerikanische Fernmeldeaufklärung beim Angriff auf Pearl Harbor auszutricksen. Die Stammfunker der wichtigsten angreifenden Kriegsschiffe wurden versetzt und nahmen von anderen Sendern aus Routinebetrieb auf.“
Wenn eine Person erkennbar ist, ist es ihr Zustand auch, letztlich mit allen Zwischentönen!
Auch interessant,
„Morsen vs. SMS:
In der NBC-Fernsehreihe „The Tonight Show with Jay Leno“ am 13. Mai 2005 gab es einen kleinen Wettbewerb, um festzustellen, ob SMS-Eingabe oder Morsen schneller ist. Hierbei traten zwei Jugendliche gegen zwei Funkamateure an. Die beiden Funkamateure, die sich seit 38 bzw. 43 Jahren damit beschäftigt hatten, waren schneller als die Jugendlichen.“
Das Morsen setzt gut ins Bild das digitale Prinzip. Es fängt aber schon früher an:
Digital übertragen:
Schreiben!
Ein absolut phonetisches Alphabet wäre in der Praxis unbrauchbar, weil es aufgrund der unzähligen Nuancen einer Sprache unzählig viele Zeichen hätte.
Eine allererste Digitalisierung ist Schreiben.
Der kontinuierliche Wertebereich aller menschlich erzeugbaren Laute wird reduziert auf hierzulande 26 oder 30, in anderen Sprachen auf weniger oder mehr Zeichen.
Und jeder, der schon einmal eine Fremdsprache erlernte, weiß, wie sehr diese Buchstabengebilde unserem Begreifen Halt geben, wie schwer es ist, ein reines Lautgebilde sich nur für kurze Zeit zu merken. Sprachen mit lauter Lauten zwischen den uns geläufigen sind darum viel schwerer, als solche, die mehr oder weniger gleiche benutzen.
Die Armut, welche mit dem Verlust aller lautlichen Zwischentöne entsteht, wird kompensiert durch den Reichtum einer Bibliothek, durch kaum begrenzte Sende- und Speicherfähigkeit.
Und eben die Unverwechselbarkeiten von Handschrift, persönlichem Ausdruck und Stil zeigen, wie der Mensch noch über ein dünnstes Medium als ganzer Mensch zu kommunizieren in der Lage ist.
Digital übertragen:
Sprechen!
Schon dem Sprechen liegt in gewisser Weise bereits eine „weiche“ Digitalisierung zugrunde: eine jede Sprachgemeinschaft beschränkt sich auf eine gewisse Anzahl von Lauten, welche benutzt und mehr oder weniger eindeutig erkannt werden, dies sogar trotz ungenauer Aussprache. Ihre Mitglieder lernen andere Laute nicht einmal auszusprechen, sind eventuell auch kaum oder nicht in der Lage, sie unterscheidend herauszuhören, die Gemeinschaft lässt diese weg.
(Digitale Vorstufen im Alltag gibt es überall zu entdecken. Wenn jemand nicht Wasserfarben sondern Farbstifte hat, dann ist damit ein Farbraster angeboten. Freilich kann man auch mit drei Grundfarbenstiften alle Zwischentöne mischen – auf angemessene Entfernung gibt das grade sehr lebendig Grau- oder Brauntöne, aus der Nähe erkennt man dennoch die Pigmentpunkte, die „Pixel“.)
Bestrebung zur Reduzierung:
Wie schon bei der Betrachtung des Hörverhaltens zeigt sich auch bei der Farbwahrnehmung, dass es eine elementare Eigenart des Menschen ist, die Wirklichkeit auf zählbare Qualitäten zu reduzieren: manche nehmen von der Zitrone ein Gelb und vom Wein ein Rot, wundern sich dann, dass deren Mischung kein schönes Orange ergibt. Dabei ist der schwache Blauanteil in beiden sichtbar, das Ergebnis wäre vorhersehbar, „vorher-sehbar“. Eine „weiche Digitalisierung“ scheint im Menschen selbst begründet.
Motive für Digitalisierung:
Heute werden freilich nicht mehr z.B. nur Worte mit klaren Bedeutungen auf solche Art übersetzt digital übertragen, sondern die Laute und Klänge selber.
Aus den gleichen Gründen, aus denen zunächst Funk und Telefon entwickelt wurden, auch das Morsen: ein größeres Maß an Fehlerfreiheit und Eindeutigkeit zu gewährleisten über größere Entfernungen und Leitungslängen. Aus dem Lautsprecher auf der anderen Seite der Festwiese soll eben das gleiche ganze Sound-Abbild tönen, wie aus dem gleich neben der Anlage. Hier z.B. ändert durchaus jeder Kabelmeter die Qualität.
Was so räumlich in der Überbrückung von Entfernung gesucht wird, wird zeitlich angestrebt als Dauerhaftigkeit und Speicherfähigkeit.
Digitalisierung:
Die Digitalisierung von Impulsen bedeutet, sie werden gerastert, vereckigt, vertreppt. Der Wertebereich ist nicht mehr kontinuierlich, sondern gestuft.
Ein Bild wird gerastert in viele, viele Quadrate, die hintereinander beschrieben werden. Ein solches Pixel wiederum als Bildteilstück z.B. hat als Gelbanteil einen Wert zwischen 0 und 255, z.B. 123 oder 124, es gibt kein Dazwischen.
(Diese 256 möglichen Stufen werden dann ja bekanntermaßen noch weiter in die Maschinensprache der Computer übersetzt, welche überhaupt nur noch aus zwei Werten besteht, Null oder Eins.)
Bei Tönen ist es entsprechend.
Verlust / Verlust:
Das ist ein Verlust von Feinheiten und Zwischentönen. (Zwischenstufen kann man gar nicht sagen, Stufen gehören eben zur digitalen Welt!) Dieser Verlust wird in Kauf genommen, weil er unter bestimmten Verhältnissen geringer scheint, als der durch analoge Übertragung entstehende. Und durch immer feinere Treppung, immer kleinere Rasterung z.B. im Bildbereich wird er so weit möglich minimiert. Mindestens so weit, dass er nicht mehr zu merken ist.
Freilich bemisst und wertet jeder die jeweiligen Verluste anders. Weil dem einen bemerkbar ist, was andere längst übersehen oder –hören.
Weil nicht nur sinnlich erfahrbare Werte, sondern auch ideelle mit der Art der Verluste verknüpft werden.
(Gewiss wurde und wird manchmal aus lauter Spieltrieb digitalisiert, wo das vielleicht mehr Verluste bringt, als eine analoge Übertragung. Weil eben die neueste Technik bevorzugt wird.)
Und es gibt Verluste anderer Art auf einer anderen Seite: ein einziger erlebter Schrei kann eine ganze Geschichte erzählen, diese aufgeschrieben braucht viele Seiten, in Maschinensprache wären es mehrere Meter Bücherregal – je weniger Zeichen verwendet werden, umso fehlerfreier ist zwar jede Note zu lesen, also theoretisch die ganze Notierung, umso mehr Speicherplatz braucht sie aber auch! Und umso höher muss die Lesegeschwindigkeit werden, wenn man denn heute noch fertig werden will…
Durch die Sinne zum Erlebnis:
Menschliches Erleben geschieht immer nur durch die Sinne vermittelt. Direkt, weder analog, noch digital. Andere Tore als seine Sinne hat der Mensch nicht.
Analog zu Augen und Ohren:
Der Weg zu diesen Toren ist nur analog übertragen möglich. (Nur wenn man elektrische Impulse direkt in das Nervensystem vermitteln könnte, würde das anders.)
Digital gespeichert und übertragen:
Die digitale Form ist immer nur ein Zwischenstück, speicherfähig und tauglich zur Überbrückung fast beliebiger Weg-Längen. Und eben weil diese Form niemals direkt erlebt wird, stört es nicht, wichtige Metainformationen dazuzustellen, die ein sachgemäßes Umwandeln dirigieren können, das ist ein zusätzlicher großer Vorteil.
Gespeichert und befördert wird ein digitalisiertes „Sinnenerlebnis“ oder heutzutage auch etwas digital Produziertes. Erlebbar wird es erst wieder nach Umwandlung in analoge Impulse. Erlebt erst durch offene Sinne.
Peter Zimmer, 15.06.2013 mit Zu-Sätzen und Hilfe von Einigen.