Der Mond als Zeiger der Uhr des Sonnenjahres
Kennen Sie den Tierkreis wie Ihre Westentasche? Den meisten Menschen heute ist der Fixsternhimmel wenig geläufig. Wenn Sie sich hineindenken in frühere Zeiten ohne Lichtverschmutzung, dann können Sie sich vorstellen, dass er Ihnen genauso vertraut wäre, wie Ihnen jetzt das Zifferblatt bekannt ist.
Stellen Sie sich die Uhr mit ihrem Ziffernblatt vor. Das kennen Sie in- und auswendig: Auch, wenn Sie nur eine Hälfte sehen, wissen Sie den Ort jeder Ziffer auf dem ungesehenen Halbrund. Nun denken Sie sich das Zifferblatt ganz groß um die Erde herum – das ist der Tierkreis. Von ihm ist immer genau eine Hälfte über dem Horizont. Da haben Sie also den Großkreis der Tierkreisbilder und wissen immer ganz selbstverständlich, wo welches Tier gerade ist. Die Sonne wandert als Zeiger einmal im Jahr da herum. Leider hat sie als Zeiger die Eigenart, das Zifferblatt zu überstrahlen, unsichtbar zu machen! Und leider ist nachts zwar das Zifferblatt (meist) sichtbar, aber dann der Zeiger nicht! Dafür gibt es nun den Mond als Spiegel – der zeigt direkt, wo die Sonne steht und damit auch, wie spät es ist im Sonnenjahr. Verbinde die Eckpunkte der Sichel und bilde auf der Mitte die Senkrechte – dort steht die Sonne. Ein „Schauen der Sonne um Mitternacht“ wird auf diese Art möglich für den, der ganz zuhause ist im ganzen Tierkreis.
Den Neumond sieht man nicht, er steht zu dicht bei der Sonne, drüber oder drunter. Der Vollmond steht immer gerade gegenüber. Die Halbmonde im Quadrat zur Sonne. Usw. Wer des Mondes Ort auf dem Tierkreis sieht und dazu an seiner Gestalt die Richtung erkennt, aus der er spiegelt der Sonne Licht, der weiß auch deren Ort und so die Zeit in ihrem Jahr.
Hier rechts sehen Sie ein Bild des Tierkreises, wie man ihn mit der menschlichen Gestalt verband. Die Brüder von Limburg malten ihn etwa 1416 für das Stundenbuch „Très Riches Heures“.
Links eine andere Darstellung. Neben diese habe ich Ihnen vertikal die Tierkreis-Symbole gesetzt und mit einem horizontalen Zeitstrahl dazu eine Tabelle erstellt. (Über dem Widder gibt es noch einmal die Fische. Damit Sie sich am sichtbaren Sternenhimmel orientieren können, nutze ich fortan nicht die astrologischen Orte, sondern die Tierkreisbilder, wie sie eben zu sehen sind. Und heute fängt die Sonne ihren Lauf durch das Jahr vor den Fischen an. In einiger Zukunft beginnt sie vor dem Bild des Wassermanns.)
Von linksoben vor dem Tierkreisbild der Fische wandert die Sonne durchs Jahr regelmäßig nach rechtsunten. Und mit ihr alle möglichen Neumond-Orte.
Da der Vollmond gerade gegenüber der Sonne am Himmel steht, kann er zum Zeitpunkt der Frühlings-Tag-und-Nachtgleiche nur vor dem Sternbild der Jungfrau erscheinen. Vor den Fischen – am Frühjahrsort der Sonne – muss er umgekehrt im Herbst zu sehen sein.
So bekommen wir außer der Linie für Sonne-mit-Neumond auch Linien für mögliche Orte des Vollmonds, auch welche für die beiden Halbmonde. Mit dieser „Tabelle“ bewaffnet können Sie die instinktive Vertrautheit früherer Nachtschwärmer ersetzten: Sie schauen, wie der Mond aussieht und wo er steht – und können dann hier unten auf dem Zeitstrahl das Datum ablesen, den Zeitpunkt.
Und man kann sich über Zeitspannen vereinbaren: „Treffen wir uns, wenn der Vollmond am gegenüberliegenden Tierkreisbild steht“ oder „…beim Vollmond, nachdem vor dem gleichen Tierkreisbild der Neumond gestanden hat“ bei Vollmond gesagt, sind identische Zeitangaben für ein halbes Mondjahr. Zeitangaben, für die man keine Zahlen kennen muss! Uns, denen die Himmelsvorgänge unvertraut sind, klingt das kompliziert – aber solche Zeitangaben sind z.B. mit einem simplen Fingerzeig auf einen bestimmten Himmelsort einerseits und der Abbildung einer bestimmten Mondphase andererseits sogar wortlos möglich.
Eine runde Jahresuhr wäre sehr schön bildhaft denkbar: Auf ringförmiger Abbildung des Tierkreises drehbar dazu der Reigen aller Mondphasen – je die aktuelle Phase mit dem Mondort zur Deckung gebracht, zeigte der Neumond=Sonnenpunkt dann das Datum. (Mit zum Tierkreis verstellbarer Datumsscheibe könnte sogar die Präzession Berücksichtigung finden!)
Nun weiß heute jeder immer das Datum, braucht niemand es auf solche Art feststellen. Aber festzustellen, dass Phase plus Standort das Datum definieren, ist spannend genug. Und man könnte umgekehrt sehen, an welchen Orten je welche Phase überhaupt nur sein kann zu einem gegebenen Datum. Vor allem hoffe ich, dass der westlichen Welt solch neues Bewusstsein für Mondrealitäten kulturverständigend wirke: Mondkalendariern wie Juden, Muslimen und Chinesen (das sind die meisten Menschen auf der Welt!) ist das noch eine selbstverständliche Wirklichkeit, ihnen müssen unsere abstrakten sogenannten Monate zuinnerst unverständlich bleiben.
Die in dieser Sammlung drehbarer Sternkarten vorgestellte Monduhr ist andersherum gemeint: „stelle den Tag ein und dir wird Mondphase und -ort gezeigt“. (Umgekehrt funktioniert sie leider nicht, da an ihr der Tag als Kombination zweier Ringe eingestellt wird.)
Wenn Sie das zu ungenau finden: es gibt Uhren ohne Ziffern auf dem Blatt und die Zeitbestimmung funktioniert doch! Zwar sind die Sternbilder ausgedehnt, die Mondphasen fließend, wenn man aber den Wochentag als bekannt nimmt, ist nur jedes siebte Datum gefragt und lässt sich der Tag doch sehr genau bestimmen!
Zwar haben wir jetzt mögliche Mondorte je Phase gefunden. Aber der Mond läuft anders als die Sonne nicht einmal im Jahr durch die Tierkreiszeichen, sondern etwa dreizehn-ein-Drittel Mal. Seine Ganglinie muss also erheblich steiler als die der Sonne mehr als dreizehnfach über die Fläche laufen…
…und der Mond läuft jedes Jahr anders:
Selten fällt der Neumond auf den Tag des Frühlingsanfangs – 2015 war das der Fall. 2017 traf der abnehmende Halbmond darauf. 2019 wird der Vollmond mit dem Frühjahrsequinoktium einhergehen – zwar erst in Amerika, denn die Zeitzonen spielen auch eine Rolle dabei… Links haben Sie als Beispieljahr das vom Frühlingspunkt 2053 bis 2054 abgebildet, die Tage nach Mond-Orten sortiert, zwar jahreszeitlich gefärbt nach den internationalen Monaten in nördlicher Hemisphäre. Da werden die bezeichneten Linien sichtbar, auf denen die Voll- oder Halbmonde anzutreffen sind. Und sichtbar wird auch der siderische Mondrhythmus, mit „Monaten“ zu 27/27/28 Tagen, im Mittel 27,32.
Jedes Jahr beginnt mit einer anderen Mondphase, hat seine eigene Streifung. Für die Anschauung ist der reale Mondstand Kalender genug, erst das menschliche Bedürfnis nach gleichstufiger Zählbarkeit schafft starre Systeme und damit Anpassungsprobleme: Orientalische Frühkulturen unterschieden zunächst 27 Mondhäuser und gliederten möglicherweise die Monate ihrer siderischen Mondkalender in 3 Wochen zu 9 Tagen. Eine starke Betonung der „9“ in nördlichen Mythen und Sagen kann eine ähnliche Zeitauffassung auch in Europas Frühkulturen vermuten lassen. Eine spätere Gliederung auf 28 Mondhäuser/Tage ermöglichte eine Viertelung in 7-Tage-Wochen, wie sie das Kalenderblatt links als Rhythmus in den Tagfeldformen zeigt, wie sie seit langer Zeit weltweit gilt. Allerdings gehen die Monate nicht in 27 oder 28 Tagen glatt auf, geht das Sonnenjahr nicht mit einer glatten Anzahl von Monaten auf.
Synodisch – Siderisch
Mondphase und Mondort, synodische und siderische Monate hängen zusammen: jeder synodische Monat fängt ein Mondhaus weiter an, umgekehrt beginnt jeder siderische Monat um ein Phasendreizehntel verschoben. Und wie die Neumonde synchron mit der Sonne durch den Tierkreis wandern, so liegen die Vollmonde gegenüber: so kann ein Vollmond vor z.B. dem Zwilling nur im tiefen Winter stattfinden, zeigt diesen an, so beweist umgekehrt ein Vollmond vor des Schützen Beginn den Sommer. Für die Juden und die Chinesen mit ihrem Bauernkalender, für alle, die einen lunisolaren Kalender nutzen, kann das eine erlebte Realität sein:
Das Neulicht, die erste schmalste Sichel am Abend zu Beginn des jüdischen Frühlingsmonats Nisan (Mitte März bis Mitte April) wird immer vor dem Sternbild Fische bis – seltener – Widder sichtbar erscheinen. Das Altlicht dann, die letzte Sichel am Morgenhimmel ~27 Tage später wiederum an der selben Stelle! Bevor dann der nächste Mondmonat die Sicheln ein Haus weiter je vor Widder bis Stier zeigt, usw.. Die Sonne steht freilich immer neben den Sicheln vor einem anderen Sternbild. (Tierkreis und jüdischer Kalender)
Astronomie, Astrologie, Astrosophie und die Sinne
Woher weiß der Astrologe, in welchem Zeichen die Sonne steht? Das kann kein Mensch nie mit Augen sehen! Wer sich jedoch neu und bewusst ganz und gar vertraut gemacht hat mit dem Sternenhimmel – wie die alten instinktiv darin zuhause waren – der „sieht die Sonne um Mitternacht“, dessen Sinn hat sich erweitert, der Sehsinn mit Hilfe des Mondes wie oben beschrieben.
- Der heutige Astronom rechnet aus, was er meint, dass materiell da draußen in großer Ferne messbar wäre. Heliozentrisch meint er die materielle Wirklichkeit zu erforschen. Was die Erscheinungen dem Menschen bedeuten, interessiert ihn nicht.
- Der heutige Astrologe schaut in seine Ephemeriden, Tabellen, er rechnet in Systemen. Was den menschlichen Sinnen erfahrbar, was draußen sichtbar ist und wann und wo, das interessiert ihn nicht.
- Wer heute Astrosoph werden will, der schule seine Sinne, vor allem interessiere er sich sinnentätig für die Sterne. Nicht materiell in der Ferne, sondern immer im Bezug zu Mensch und Erde. So wird sich sein Sehen erweitern.
Nicht umsonst hat Steiner in seiner frühen Schrift „Anthroposophie, ein Fragment“ 1910 die Anthroposophie aus der Sinnenlehre entwickelt. „Übersinnlich“ erscheint so nicht Sinnenfern. Schon die gewöhnlichen höheren Sinne werden entwickelt, ihre „Spektren“ je erst erworben. Ein Sinn für den Stil eines Künstlers z.B. – Element des Ich-Sinnes – ist ja nicht mit der Geburt vorhanden. Bei genügend Beschäftigung mit Werk und Geschichte einer Person entsteht aber irgendwann ein sicheres und direktes sinnliches Erkennen. So kann ein höheres Sehen entwickelt werden aus dem gewöhnlichen Sehen. Hell sieht man die Sonne auch mitternachts.
(Interessant für das Thema „Sinn/Übersinn“: Im Juli 2013 wurde verschiedentlich berichtet von einem archäologischen Forschungsprojekt: Spurenleser der San halfen Höhlenforschern auf die Sprünge. Mit Gewinn auch für die San: sie mussten ihr „instinktives“ Lesen den heutigen Forschern verständlich machen, erklären, warum denn ihnen diese oder jene Spur etwas bedeute – und haben so erst ein Bewusstsein der beschreibbaren Einzelqualitäten entwickelt, aus denen sich ihnen als unmittelbares Sinneserlebnis die eine oder andere Erkenntnis bildet.)
Ob auch der Lebenssinn, dessen Urphänomene des Tages Rhythmen begleiten, sich so als Zeitsinn erweitern lässt, dass für kosmische Rhythmen er wach wird? Ob man Monate und Jahre fühlen lernen kann?
Der Mond in Mondmaßen:
Der Mond hat einen mittleren Durchmesser „MD“ von 32 Bogenminuten (je knapp 30′-34′ je nach Erdnähe oder -ferne), also gut ein halbes Grad – etwa ein Viertel Daumenbreite, siehe Mondgrößenvergleich.
Er wandert in 27,32 Tagen 360° (siderischer Monat), also 13°12′ an einem Tag: Fast 25 MD wandert der Mond in 24 Stunden, oder nahezu einen MD pro Stunde, durchaus gut bemerkbar! Der Vollmond z.B., welcher im Mittel 12 Nachtstunden sichbar ist, legt vom Aufgang bis zum Untergang also eine Strecke von gut 12 MD oder 6°36′ zurück, überstreicht so in einer Nacht ein gutes Fünftel eines mittleren Tierkeisbildes von 30°.
Des Mondes Bahn ist um 5°9′ gegen die Ekliptik geneigt, er geht also bis zu etwa 10 MD drunter oder drüber (drakonitischer Monat). Um das für die nördlichen Breiten bildhaft zu haben, ist des Mondes mögliche Bahnbreite in der Umgebung leicht erkennbarer Tierkreisbilder mit gelben Strichen markiert:
- Im gut erkennbaren Sternbild des Löwen liegt der Hauptstern Regulus fast genau auf der Ekliptik, nur ein knappes halbes Grad darüber – weitere gut 4° darüber liegt des Löwen „Brustbeinstern“ (nach unserem Bildverständnis) – „Al Jabhah“ (die Stirn) – der Mond am nördlichsten Punkt rollt also noch oberhalb davon entlang.
- Der Kopfstern Pollux des linken Zwilling liegt 6°40′ nördlich der Ekliptik, der helle linke Fußstern der „römischen Zwei“ mit 6°44′ genauso weit südlich – zusammen rahmen sie die möglichen Bahnen des Mondes.
- Der Stier zeigt es wieder anders, sein hellster Stern Aldebaran liegt mit 5°28′ Süd noch gerade innerhalb der möglichen Bahnen, noch deutlicher der oberste Stern der zugehörigen Plejaden mit 4°23′ nördlich der Ekliptik.