Das Meta-Gesetz und ein Plädoyer für den Imperativ
(PZ, Alfter 1989)
Ein Beitrag zur Sprach- und Sprech-Kritik und -gestaltung
Ein Meta-Gesetz ist eines über Gesetze, stellt Gesetzmäßiges dar aus der Welt der Gesetze und ihrem Zusammenhang mit der übrigen Welt. Und damit beginne ich:
"Durch seine Form wirkt ein Gesetz um so heilsamer auf den sozialen Organismus, je mehr sie der des hiermit gegebenen entspricht und schädigt ihn um so sicherer, je weniger sie das tut, das heißt, je mehr es in die eines "Soll-", "Muss-" oder "So-ist-es-" Gesetzes gekleidet ist.
(An dieser Stelle danke ich Douglas R. Hofstadter für die Anregungen, die ich durch seine Bücher erhielt.)
Ein Beispiel eines in diesem Sinne heilsamen Gesetzes will ich geben:
"Das Heil einer gesellschaftlichen Gesamtheit wird um so größer, je mehr sich der einzelne auch in finanzieller Hinsicht als Fremdversorger verhält, und es wird um so kleiner, je mehr er in finanzieller Hinsicht Selbstversorger bleibt." (Zitat aus dem Buch "Soziale Dreigliederung: Der Weg zu einer lernenden Gesellschaft" von Christof Lindenau, demm ich dafür danke.)
Nicht kommt es jetzt auf den Inhalt dieses Gesetzes an!, schaut aber darauf, wie es durch seine Form wirkt.
In dieser Form übt ein Gesetz keinen moralischen Druck aus. Denn da wird nicht die erfüllung eines Gesetzes gefordert, sondern eine Gesetzmäßigkeit beschrieben, deren Vorhandensein zu überprüfen mir möglic ist und Aufgabe sein kann. Mit dem Gesetzesinhalt verbindet mich kein Soll oder Muss, das meine entscheidung zum Heil oder Unheil voraussetzt und mir vorenthält. Freiheit wird mir gelassen - und gleichzeitig erhält das zur Gesetzmäßigkeit objektivierte Gesetz die Unerbittlichkeit und Unabhängigkeit von meiner Entscheidung, derer es bedarf, um mich wecken zu können für die Unausweichlichkeit der gesetzmäßigen Folgen jeder Tat, sei sie aus der Entscheidung zum Heil oder zum Unheil oder auch aus Nichtentscheidung getan. So fordert das Gesetz, weil es mich freiläßt und dadurch, auf dem weg über die Erkenntnis meine ganze Freiheit.
An der Stelle des Zitates denke ich mir jetzt folgende Aussage, vorgestellt als Teil eines Aufsatzes, Vortrages oder als Beitrag zu einem beliebigen Gespräch:
"Alle deutschen Bundesbürger sollten ..." (ich weiß, das paßt nicht zu Inhalt des Gesetzes), aber: "Wir als Anthroposophen müssen doch in der heutigen Zeit ..." oder einfach: "Man müsste sich ... in finanzieller Hinsicht als Fremdversorger verhalten und ..."
Schaut auch jetzt nur darauf, wie diese Aussagen, denene Inhalt zu geben ich eurer Phantasie überlasse, wirken durch ihre Form.
Was geschieht denn da?, in mir: Rebellion ob der Nichtachtung meiner Freiheit, selbst zu bestimmen, ob ich gutes will oder nicht, noch mehr ob der erniedrigung des Geistes der Aussage. Denn da wird der Geist des Ausgesprochenen herabgezerrt und erniedrigt zur manchmal rosa, meistens drohenden Wolke dumpfer Macht, auf die verweisend der Sprecher sich unangreifbar macht und erhöht zur Marionette des Ungeistes ohne es zu merken! (Zitat: "... denn sie wissen nicht, was sie tun".) "Man sollte ...", "Wir müssen ...", "Man müsste mal ...": das ist von Übel, ist Sünde wider den Geist des Ausgesprochenen, weil es ihn sondert von Person und Wirklichkeit, ihn zur Unwirklichkeit und Wirkungslosigkeit einer Fernsehnachricht verdammt, zu der ich mich in gemeinsamer Resignation und resignierender Gemeinsamkeit setze (weil von dazu-stellen nicht die Rede sein kann).
Je mehr Du den Geist durch dich selber sprechen lässt, ihm Mund und Hand leihst, desto besser kann er wirken und Wirklichkeit werden, und je mehr Du ihn durch Unpersonen wie "man" und "wir" sprechen lässt, desto unwirklicher und wirklungsloser wird er, um so geistloser und ungeistiger wird die Welt.
Wisst was ihr tut!
Versteckt euch nicht hinter der lähmenden Macht der pseudowissenschaftlichen Ungeister "Man" und "Wir". Sprecht selbst, in Gottes Namen sprich, laß den Geist durch diech seber sprechen und gebrauche den Imperativ! Ich bitte euch und fordere euch auf (convidare = einaden, auffordern), ich rufe euch auf (proclamare = aufrufen, verkünden), habt Mut zum Convidativ und Proklamativ!
Oder beschränkt euch auf präzise und ehrliche Wissenschaftlichkeit, vorhandene Gesetzmäßigkeiten beschreibend.
Je mehr Du entweder dich deinen Zuhörern gleich und dem Geist gegenüber stellst, ihn jenen zeigst in präziser, ehrlicher Wissenschaftlichkeit oder den Gesit durch dich selbst sprechen lässt im Convidativ und Proklamativ, umso eher und mehr wird ihm Wirksamkeit und Wirklichkeit, und je mehr Du ihn entweder in Gebote zwängst oder durch Unpersonen wie "Man" oder "Wir" sprechen lässt, um so unwirklicher und wirkungsloser wird er und umso geistloser und ungeistiger die Welt.